Die Geschichte des Allerheiligenstriezel reicht viel weiter zurück, als der scheinbar christliche Brauch vermuten lassen würde. Der Allerheiligenstriezel gehört zu den Gebildbroten, und die sind seit tausenden von Jahren als symbolische Brote Teil von Ritualen, Festen und Bräuchen.
Gebildbrote werden bewusst geformt – als Zopf, Ring, Baum oder Tier – und tragen oft eine tiefe Bedeutung. In unserer Gegend werden sie gern aus Germteig (Hefeteig) hergestellt.
Anfang November, zur Zeit von Allerheiligen – oder Samhain, wie es früher hieß – wenn der Schleier zwischen den Welten dünner wird, wird der Allerheiligenstriezel traditionell vom Paten oder der Patin an das Patenkind verschenkt.
Vom Opferbrot zum traditionellen Zopf
Ursprünglich waren Gebildbrote wie der Striezel Teil heidnischer Ernte- und Ahnenrituale. Der Zopf symbolisierte die Lebensfäden oder die Verbindung zwischen den Welten. Ein uraltes Bild, das uns direkt zu den Nornen führt: den Schicksalsweberinnen aus der nordischen Mythologie. Sie spinnen und knüpfen die Fäden des Lebens, wie auch jede Striezelbäckerin den Teig zu einem neuen Ganzen formt.
Mit der Christianisierung wandelte sich der Brauch: Der Allerheiligenstriezel wurde zu einem Geschenk, das Patenkindern Segen, Wohlstand und Schutz bringen sollte. Über Generationen hinweg wurde er geteilt, verschenkt oder sogar auf Gräber gelegt – eine Erinnerung an die Verbindungen zwischen den Lebenden und den Verstorbenen.
Magische Bedeutung und Symbolik
Der Germteigzopf ist nicht nur dekorativ, sondern auch ein kleines Ritual für sich selbst.
- Flechten: Drei Stränge stehen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – oder für Körper, Geist und Seele. Könner flechten mit vier oder sechs Strängen und geben damit dem Lebensgeflecht mehr Tiefe. Wer den Teig flechtet, kann dabei bewusst Wünsche, Dankbarkeit oder Intentionen einweben – so, wie die Nornen oder Frau Holle das Gewebe des Lebens ordnen.
- Germ bzw. Hefe: Sie steht für Lebenskraft und Wachstum – dafür, dass etwas Unsichtbares in Bewegung kommt und sich entfaltet.
- Zucker, Butter, Milch: Sie sind Zeichen von Fülle, Wohlstand und Genuss und kleine Opfergaben an das Leben selbst.
Frau Holle, die in vielen alten Überlieferungen als weibliche Urkraft des Kreislaufs und des Segens erscheint, wacht symbolisch über diesen Prozess: Aus dem Ruhenden wird das Lebendige, aus dem Teig wird Brot, aus der Absicht Wirklichkeit.
Wer mag, kann den Striezel als Opfergabe an die Große Göttin verstehen – als Verkörperung der Erde, die nährt, empfängt und verwandelt. Jede*r, der knetet, verbindet sich für einen Moment mit diesem uralten weiblichen Prinzip des Wachsens und Webens.
Brauchtum und Volksglaube rund um Allerheiligen und den Allerheiligenstriezel
Der Allerheiligenstriezel ist tief im volkskundlichen Brauchtum verwurzelt:
- Er wird als Geschenk zwischen Paten und Kindern geteilt – ein Symbol für Segen und Bindung.
- Auf Gräbern oder als Gabe an Bedürftige erinnert er an Mitgefühl, Fürsorge und die zyklische Natur des Lebens.
- Das Backen zu Allerheiligen war (und ist) ein Akt der Verbindung zwischen den Welten – zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Menschen und Ahnen, zwischen Materie und Geist.
Wenn du den Teig nun knetest und die Stränge flechtest, setzt du ein uraltes Ritual fort. Du webst deine eigenen Lebensfäden, bringst Dankbarkeit und Fülle in Form, Duft und Geschmack – und genau hier beginnt der Übergang zum praktischen Teil: dem Rezept für deinen magischen Allerheiligenstriezel.
Mein gelingsicheres Allerheiligenstriezel Rezept
Vor Germteig schrecken viele ungeübte Bäckerinnen und Bäcker zurück, weil sich allerhand Mythen darum ranken, dass er kompliziert zu machen sei oder beim leisesten Windhauch in sich zusammenfällt. Mit meinem Rezept brauchst du dir darum keine Sorgen machen. Ich zeig dir genau, worauf du achten musst, damit dein Striezel nicht nur magisch, sondern auch locker und flaumig wird.
Zutaten Allerheiligenstriezel
- 1 kg glattes Weizenmehl
- 1 EL Salz
- 2 Päckchen Trockengerm (Hefe)
- 400 ml Milch
- 100 ml Wasser
- 100 g Zucker
- 100 g Butter
- 2 Eidotter
- eventuell eine Handvoll Rosinen
- Eiklar zum Bestreichen
- Hagelzucker zum Bestreuen
So geht’s: Allerheiligenstriezel backen
Gib Mehl, Trockengerm und Salz in eine Rührschüssel.
Milch und Wasser werden leicht erwärmt, ungefähr auf 40 Grad. Dann löst du die Butter und den Zucker darin auf und rührst die beiden Dotter unter. (Heb das Eiklar auf, das brauchst du später noch.)
Gib die Milchmischung zu den trockenen Zutaten in die Rührschüssel und rühr das ganze mit einem Holzkochlöffel zusammen. Überschlagen nennt man das.

Jetzt wird geknetet. Gib deinen überschlagenen Teig auf eine saubere Arbeitsfläche und fang an zu kneten. Anfangs ist das eine klebrige Angelegenheit, aber trust the process! Je länger du knetest, desto glatter wird der Teig. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um deine magische Absicht in den Striezel zu kneten. Oder Rosinen. Oder beides.
Wenn der Teig schön glatt und nicht mehr klebrig ist, forme ihn zu einer Kugel und gib ihn wieder in die Schüssel. Lass den Teig an einem warmen Ort zugedeckt ungefähr eine halbe Stunde rasten und aufgehen.

Wenn der Teig sein Volumen ungefähr verdoppelt hat, ist es Zeit, die Fäden zu weben. Aus der angegebenen Zutatenmenge kannst du zwei Striezel formen. Teil den Teig also in zwei Hälften und dann nochmal in so viele Teigstücke, wie du Flechtstränge haben willst. Ich flechte meinen Striezel immer mit sechs Strängen – und ich muss jedes Jahr wieder nachschauen, weil ich vergesse, wie das geht. >.< 😀 Was ich nicht vergesse, ist auch beim Flechten meine Intention, meine Absicht oder meinen Segen zu wiederholen.
In diesem Video findest du eine super Anleitung zum Flechten mit sechs Teigsträngen.
Leg die Striezel nebeneinander auf ein gut gefettetes oder mit Backpapier ausgelegtes Backblech und lass sie nochmal eine halbe Stunde rasten und aufgehen. Du kannst sie dabei mit einem sauberen Küchentuch zudecken. Jetzt wär’s dann auch an der Zeit, das Backrohr auf 200 °C vorzuheizen.
Bestreich die Striezel mit Eiklar und bestreu sie mit Hagelzucker. Anschließend kommen sie bei 180 °C für 30 bis 40 Minuten ins Backrohr.

Falls dein Striezel zu dunkel werden sollte, kannst du ihn mit einem weiteren Stück Backpapier oder -folie abdecken und so fertigbacken. Die Stäbchenprobe verrät, ob der Striezel durch ist – steck einfach ein dünnes Holzstäbchen in den Teig, dort wo der Striezel am dicksten ist. Wenn nichts dran kleben bleibt, ist der Striezel fertig. Und wenn du ein Bratenthermometer hast: Bei etwa 90–93 °C Kerntemperatur ist er perfekt.
Wenn du am Ende den goldbraunen Striezel aus dem Ofen nimmst, duftet es nicht nur nach Butter und Zucker, sondern auch nach Geschichten, nach Erinnerung und nach allem, was dich nährt. In diesem Moment bist du Teil einer langen Linie von Bäckerinnen, Müttern, Ahninnen und Göttinnen, die wussten, dass jedes Rühren, Kneten und Flechten eine kleine Beschwörung ist. Der Allerheiligenstriezel erinnert uns daran, dass Magie nicht immer mystisch und geheimnisvoll sein muss – manchmal sieht sie aus wie ein warmer Germteig auf dem Tisch, geteilt mit denen, die wir lieben.


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